Das kindliche Spiel

Im Sprachgebrauch verbirgt sich hinter dem Wort „Spiel" eine Fülle von Phänomenen: Es gibt das Spiel der Wellen, und es gibt Farbenspiele. Es gibt Schauspiele und das Spiel der Musik. Es gibt die Spiele von Tieren und Menschen. Kinder, Jugendliche und Erwachsene, primitive und hochzivilisierte Menschen spielen auf verschiedene Weise: Sie spielen einzeln, in Paaren oder Gruppen, mit oder ohne Gegenständen, miteinander oder gegeneinander, nach strengen Regeln oder völlig frei. Bei alledem spielen sie mit Heiterkeit, Leichtigkeit oder auch mit Hingabe und feierlichem Ernst, (aus H. Scheuerl, „Das Spiel", Beltz Verlag, Weinheim). Die Erscheinungsformen des Spiels sind demnach vielfältig und begegnen uns in vielen Lebens und Erfahrungsbereichen. Schon von daher wird und wurde ihm eine besondere Bedeutung für den Menschen beigemessen. Schiller sah im Spiel einen Ausdruck des Schöpferischen und schrieb in seinen „Briefen über die ästhetische Erziehung des Menschen": „Der Mensch spielt nur, wo er in voller Bedeutung Mensch ist, und er ist nur dort Mensch, wo er spielt".

Welchen Ansatz man dem Spiel auch zugrunde legen will, so lässt sich doch sagen, dass es eine Form davon ist, was den Menschen neben seinem Intellekt, seiner Phantasie, seinem Gedächtnis, in seiner Tätigkeit als planendes, gestaltendes und handelndes Wesen mitbeeinflusst. Seine Zweckfreiheit unterscheidet es von allen sonstigen menschlichen Handlungsweisen, die immer auf ein Ziel gerichtet sind, eine Absicht verfolgen. Im Gegensatz hierzu findet es sozusagen um seiner selbst willen statt. An manchen Vormittagen im Kindergarten kann ich während der Freispielzeit beobachten, wie die Kinder so vertieft in ihr Spiel sind, dass sie alles andere zu vergessen scheinen, was um sie herum geschieht. Man hat dann den Eindruck, sie hätten eine eigene Welt um sich geschaffen, die eigenen Gesetzen und nicht einsehbaren Abläufen unterworfen ist. Unterbricht man die Kinder unerwartet in ihrem Tun, bspw. wenn das Ende der Freispielzeit angekündigt wird, was z.B. mit einem Aufräumlied geschehen kann, scheinen die Kinder wie aus einem Schlaf zu erwachen. Auch wenn hier und dort noch eine Weile weitergespielt wird, ist die vorher da gewesene Harmonie doch nicht mehr dieselbe.

In seinem Spiel entwickelt ein gesundes Kind eine einzigartige Hingabe. Diese Fähigkeit verleiht dem Spiel den Ausdruck eines sinnvollen, ernsten Geschehens, das mit Lust und Freude erlebt wird. Schon von daher darf das Spiel des Kindes nicht als Nebensächlichkeit eingestuft werden. An ihm übt es Dinge, die es einmal viel später, in verwandelter Form aus sich hervorbringen wird. So hilft es ihm in seinem unablässigen Bemühen, allmählich in seine Umwelt hineinzuwachsen, sie verstehen und deuten zu lernen, um sich einmal selbständig und sicher in ihr bewegen zu können. Seine Erfahrungen, seine Kenntnisse, die sich täglich erweitern, drücken sich im Spiel aus und spiegeln seine Umwelt wider.

Darüber hinaus offenbart das Kind in seinem Spiel schon etwas von seinem Wesen, seiner Individualität. In Situationen, wo Kinder zum ersten Mal in den Gruppenraum kommen, lässt sich dies gut beobachten. Einige Kinder „erstürmen" gleich die verschiedenen Ecken, untersuchen dieses und jenes und wollen sich gar nicht mehr trennen. Andere Kinder gehen vorsichtig auf das Puppenhaus zu und schieben zaghaft den Vorhang des Spielständers zur Seite, um erst einmal einen Blick zu riskieren, bevor sie sich dann weiter vorwagen. So verschieden die Kinder sich in solchen Situationen verhalten, so verschieden ist dann oft auch ihr tieferes Wesen.